Liebe Almuth,
ich hatte Schwierigkeiten dir auf diese Antwort zu antworten, weil ich nicht in jeder Hinsicht mit dir einverstanden bin. Vor allem was meine Eltern und meinen Selbstwert betrifft, stimme ich dir nicht zu. Daher habe ich erst versucht nachzudenken, ob ich mich strikt gegen deine Meinung und Deutung wehre, weil ich meine Eltern schützen will? Aber ich denke nicht, dass dem so ist. Meine Eltern haben Macken, Kanten und Fehler und ich bin die letzte, die diese verschweigen oder gutreden wollte. Was meine verstorbene Mutter betrifft, ist es komplizierter. Ich habe ein gesundes und sehr gutes Verhältnis zu ihr gehabt, vor allem als Erwachsene. Daher möchte ich mich nicht damit aufhalten unsere Differenzen der Kindheit in den Vordergrund zu stellen. Wir hatten viel Streit als ich Jugendliche war, da sie mir nicht die Freiheiten einräumen wollte, die ich gerne gehabt hätte (rauchen, Alkohol trinken, in Diskos gehen). Ich habe meine Gelüste dennoch ausgelebt (und zwar nicht zu wenig, sobald ich die Volljährigkeit erreicht habe und vielleicht sogar schon ein wenig früher). Dies sind für mich aber "normale" Teenie - Eltern Themen, ich denke jedes vernünftige Elternteil versucht seinem Kind die Gefahren verschiedenster Aktivitäten aufzuzeigen....
Naja, jedenfalls gleich mehr zu meinen Eltern.
Ich verstehe aus dem was du schreibst, dass ein Warntraum bedeuten soll, dass ich über meinen Seelenzustand informiert werde. Es geht hier nicht (unbedingt) sofort um Handlung, sondern ich soll darauf aufmerksam gemach werden? In meinem Traum leide ich nicht unter der Arbeit, sondern der Zeit, die dafür in Anspruch genommen wird. Vielleicht sollte ich mir also mehr Freizeit gönnen.
Nun ist es aber auch so,dass ich in der "freien Zeit" nicht weiß, was ich machen soll. Ich kann mich nicht einfach "auf den Rücken legen", ich möchte entweder mit dem Hund spazieren oder in den Wald gehen. Vielleicht ein Bild malen, ich mache auch sehr viel Musik und singe (das war Übrigens mein Traum heute Nacht, ich stand auf einer kleinen Bühne und sang), ich koche Marmelade ein... oder lese ein Buch. Ich möchte nicht einfach "nichts" tun. Es gefällt mir nicht. Ich fühle mich dann nicht gut (außer ich habe zb vorher Sport gemacht und bin körperlich so ausgelastet, dass ich die Regeneration brauche).
Ich finde es fast "gemein", dass du diese Eigenschaft als "beinahe krankhaft" deutest. Ich entspanne mich mehr dabei, wenn ich selber "aktiv" bin (auf welche Weise auch immer), als wenn ich mich hinlege und nichts tu. Übrigens ist "nichts tun" auch ein weiter Begriff, denn selbst wenn man nur daliegt, hat man ja Gedanken. So ist es zumindest bei mir.
Meine Vorwärtsbewegung gilt also meinem inneren Wunsch mich zu verändern, denn das erlebe ich als "Leben". Ich sage nicht, dass ich besser bin als andere Menschen oder klüger oder produktiver. Aber für mich ist DIES DAS LEBEN. Ich möchte leben, und ich habe nicht den Eindruck, dass wir dies tun, wenn wir zuhause sitzen und Fernsehen. Da werden wir zu passiven Betrachtern, zu Schatten von dem, was wirklich lebt.
Diese Ansichten wurden mir nie in Schule oder im Elternhaus beigebracht. Das ist meine Meinung vom Leben. HEUTE. In der Schule hieß es "fleißig sein, diszipliniert sein, regelmäßig arbeiten, gute Noten bekommen". Und dieses System habe ich nie wirklich verinnerlicht, weil ich von der Grundschule an bis zum Abitur immer gute Noten hatte, aber nie etwas dafür getan habe bzw tun musste. (Erst im Studium musste ich lernen, was "lernen" bzw "auswendiglernen" überhaupt bedeutet).
Was meine Beziehung betrifft sehe ich es ähnlich wie du. Ich fühle mich wie ein "Dienstleister" aber nicht auf die herkömmliche Art, sprich Frauen und Männerrolle sind bei uns irgendwie vertauscht oder verwachsen. Also wir haben keine klassische Rollenverteilung, obwohl: ich bin der Motor von allem (was mich nicht weiter stört). Ich bin bei uns für alles "Öffentliche" verantwortlich (Papierkram, Auto reparieren, zum Tierarzt gehen etc), während er zuhause mit Kochen und so häuslichen Arbeiten beschäftigt ist. Allerdings bekomme ich für meine "Arbeit" keine Wertschätzung, weil ich es ja "kann". Das ist quasi normal. Und das finde ich nicht fair....
Bei dieser Krankheit wird die Struktur der Persönlichkeit gewaltsam attackiert. Deine Mutter hatte dieselbe Krankheit, heißt, auch ihr wurde als Kind beigebracht, nicht gut genug zu sein, anders sein zu müssen als sie es eben war. Diesen Grundgedanken hat sie durchgezogen bis zuletzt und an dich weitergegeben.
„Mach Dich nützlich, damit Du was taugst“ - eine solche mehr oder weniger direkte Botschaft an ein Kind ist verheerend. Nicht gut genug zu sein macht das Gefühl für den eigenen Selbstwert, das einem Kind angeboren ist, zunichte.
Die Autoaggression deines Körpers zeigt, wie schlimm es steht um dein Selbstwertgefühl. Und um das deiner Mutter...Dem kann ich leider gar nicht zustimmen, Almuth. Meine Mutter hat mich immer machen lassen was ich wollte, hat mich bestätigt, hat mir Halt und Kraft gegeben. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass sie mir mein Selbstwertgefühl genommen hat, sondern im Gegenteil. Für meine beiden Eltern, war ich immer die "Prinzessin" mit Zauberkräften. Ich wurde von ihnen nicht in irgendwelche Muster gezwungen, außer der Tatsache, dass ich mich in der Schule "normal verhalten" sollte, weil ich viel provoziert und rebelliert habe. Sie gaben mir häufig Recht bei Problemen mit Lehrern zum Beispiel, aber manchmal ging es darum, dass man einfach "klein bei geben" muss (wenn der Schulleiter sie zb herbestellt hat, weil ich einen Lehrer provoziert habe oder im Unterricht mit anderen Dingen beschäftigt war und es für vollkommen in Ordnung betrachtet habe, weil ich die Lerninhalte ja verstanden hatte)...
Seitdem ich erwachsen bin, mache ich was ich für gut oder richtig halte und habe hier keine Be- oder Verurteilung meiner Eltern.
Ich wollte studieren, das war für meine Eltern in Ordnung. Genauso wie es in Ordnung gewesen wäre, hätte ich eine Berufsausbildung gemacht... Ich habe mich nach dem Studium dafür entschlossen ins Ausland zu gehen. Hier waren meine Eltern zweigeteilt: meine Mutter offen und unterstützend, mein Vater eigentlich eher dagegen, weil er mich in seiner Nähe haben wollte. Ich bin dennoch gegangen, weil ich immer mache und machte was mir bestrebt.
Also ich möchte mein Eltern nicht unbedingt verteidigen, aber wenn überhaupt jemand versuchte mir etwas "einzutrichtern" oder mich zu "erziehen" dann war es in meinen Augen wohl mehr mein Vater, der dies auf seine Weise durchzusetzen versuchte, wenn ihm das auch nicht immer gelang. Meine Mutter war sehr offen und akzeptierte alle Entscheidungen, die mich glücklich machten ohne dabei ihr eigenes Ego in den Vordergrund zu stellen, so wie mein Vater es versuchte (zb bei meinen Auswanderungsplänen).
Die Seele meiner Mutter muss also an etwas anderem gelitten haben, als an einem mangelnden Selbstwertgefühl und dem Streben nach Anerkennung (das passte absolut nicht zu ihr)!!!
Vielleicht waren es die Gegensätze zwischen ihr und meinem Vater, aber ich glaube auch das war nicht wirklich der Fall. Aber genaueres werde ich wohl nicht mehr dazu erfahren, ich kann höchstens versuchen selbst auf mich Acht zu geben, meine Warnträume ernst zu nehmen...etc.
Mir fällt hier noch ein: meine Mutter erkrankte (oder wurde diagnostiziert) kurz nachdem meine Oma (also ihre eigene Mutter) starb. Und auch bei mir ist es so ähnlich. Vielleicht ist ein "Schock", der Schmerz einen geliebten Menschen zu verlieren, unsere Art zu trauern, im Anschluss darauf zu erkranken? ---nur so ein Gedanke, ich möchte meine Seele dennoch nicht quälen.
Naja, erst einmal einen schönen Sonntag, ich gönne mir jetzt einen schönen Spaziergang.
Viele herbstliche Grüße,
Lilly 1810
Almuth hat geschrieben:Hallo Lilly,
danke für deine ausführliche Antwort.
Zu Aussteiger:
ich verstehe die Botschaft hinter dem Traum nach diesem Ansatz, aber verstehe nicht wie ich damit umgehen soll. Soll ich gewarnt sein? Wenn ich einen sozialen Ausstieg vornehmen will, werde ich mich verlieren? Wenn ich aus der Beziehung mit meinem Freund aussteige, verliere ich meine Identität? Oder ist es sogar etwa schon ein wenig der Fall?
Du sollst nicht. Der Traum zeigt, was in aller Regel passiert, wenn man sozusagen am Ende ist. Weil du weder deine belastenden Gedanken und Gefühle loswerden kannst noch dich regenerieren kannst.
Über den ganzen Traum lang musstest du auf Toilette, hast es mehrfach versucht, konntest aber einfach nicht. Das ist sozusagen das Bild deiner aktuellen innerseelischen Situation.
Ich kann mir seltenst einen Film ansehen und dabei wirklich entspannen, weil mir Gedanken durch den Kopf gehen, was ich in der Zeit noch alles machen könnte. Wichtigeres !
In deinem eigenen Wertesystem bewertest du entspannen, abschalten als überflüssige Zeitverschwendung. Allein das hat schon beinahe krankhafte Züge...
Viele Projekte:
Wahrscheinlich wurde ich - von meinem Eltern und der Gesellschaft- dazu erzogen viel leisten zu müssen. Meine Persönlichkeit hat sich dem gefügt ?
Nicht nur gefügt. Du hast es verinnerlicht als das, was dem Leben und dir als Person einen Wert gibt.
Ich habe immer das Gefühl "unterwegs" zu sein und sein zu müssen, vorwärts zu kommen...
Vorwärts wohin? Zu mehr Geltung?
Zu Beziehung:
Ich fühle mich nicht als ein "besonderer Partner"
Natürlich nicht. Ich nehme an, dir wurde als Kind beigebracht, dass du so, wie du von Natur aus bist, nicht genug bist. Du musst anders werden, besser, und das erreichst du mit Leistung und noch mehr Leistung.
Und du hast geleistet, von Kind an. Die anerzogene Selbstwahrnehmung nichts Besonderes zu sein, die blieb aber, und das bis heute. Du definierst dich über das, was du als Leistung vorweisen kannst, aber es genügt nie. Ist immer noch zuwenig, muss immer noch mehr und besser werden....
Aber ich empfinde ihn auch als äußerst unselbstständig, naiv und anstrengend. Und ich habe das Gefühl, dass er mich und meine Anwesenheit & Hilfe im Alltag einfach nicht wertschätzt.
Das wird er wohl auch sein. In jedem Fall wird er ein Mensch sein, der sich selbst nicht über Leistung definiert.
Und deine „Hilfe“ wird eher so was wie eine Dienstleistung sein. Du bist ihm zu Diensten und meinst, wenn er sieht, was und wie viel du machst für ihn, dann müsste er dich wertschätzen dafür. Aber, Lilly, niemand liebt seinen Diener. Den benutzt man und schickt ihn weg...
Also das "getrennte Schlafen"
ist völlig o.k.
In dem Link von Ghost wird viel gut erklärt zum Thema Hund und Pinkeln. Was natürlich fehlt, ist die Erkenntnis, dass besonders Hunde die Gefühle seiner Herrchen komplett wahrnehmen und eigentlich besser verstehen als sie selbst, was los ist mit ihnen.
Das „Schaupinkeln“ des Hundes ist Ausdruck seiner Wahrnehmung. Es stellt eine Botschaft dar an euch, und zwar an beide. Ihr beide seid jeder still für sich so dermaßen voller belastender Gefühle, die ihr aber nicht rauslasst, weder jeder für sich und schon gar nicht einer dem anderen.
Rauslassen!
Eine Autoimmun-Erkrankung ist ja eigentlich eine Autoaggressions-Erkrankung. Der Körper geht massiv gegen sich selbst vor.
Jede Krankheit und jedes Symptom ist Ausdruck eines innerseelischen Problems, das über einen langen Zeitraum beharrlich nicht wahrgenommen wird, verleugnet wird. Irgendwann zeigt halt der Körper, was tatsächlich los ist im eigenen Gemüt.
Bei dieser Krankheit wird die Struktur der Persönlichkeit gewaltsam attackiert. Deine Mutter hatte dieselbe Krankheit, heißt, auch ihr wurde als Kind beigebracht, nicht gut genug zu sein, anders sein zu müssen als sie es eben war. Diesen Grundgedanken hat sie durchgezogen bis zuletzt und an dich weitergegeben.
„Mach Dich nützlich, damit Du was taugst“ - eine solche mehr oder weniger direkte Botschaft an ein Kind ist verheerend. Nicht gut genug zu sein macht das Gefühl für den eigenen Selbstwert, das einem Kind angeboren ist, zunichte.
Die Autoaggression deines Körpers zeigt, wie schlimm es steht um dein Selbstwertgefühl. Und um das deiner Mutter...
Bewusst machen, Lilly, bewusst machen ist erstmal das, was du tun solltest. Aber das machst du ja schon...
Herzliche Grüße Almuth