In meinen bisherigen Träumen flossen die Ereignisse mehr oder weniger vor sich hin, ohne mich wirklich zu betreffen. Das war heute Nacht anders. Auch war der Traum deutlich klarer als meine Träume sonst sind.
Ich war in Berlin, in einem Tagungshotel. Ich träume oft von Tagungshotels, das ist offenbar eine Reminiszenz an meine wirkliche Arbeit. Ich muss dazu sagen, dass ich bei einer staatlichen Behörde arbeite und in diesem Zusammenhang eben manchmal auch Tagungen besuche.
Teil 1: Splitter im Auge
Bis zum Beginn meiner Veranstaltung habe ich noch ein oder zwei Stunden Zeit und gehe durch die Drehtür nach draußen vor das Hotel. Da sehe ich ein paar Leute auf mich zukommen, die mir suspekt sind. Sie tragen zwar Sakkos und sind relativ gepflegt gekleidet, aber irgendetwas sagt mir, dass es sich um Betrüger handelt. Sie kommen immer näher, einer hält ein aufgefächertes Kartenspiel in der Hand, das er mir entgegenstreckt. Sie wollen mir offenbar ein Spiel aufdrängen und mir im Zuge dessen Geld abnehmen. Ich fühle mich bedrängt und eile zurück ins Hotel, in der Hoffnung, dass sie mir nicht folgen können.
Alle bis auf einen bleiben tatsächlich draußen, dieser folgt mir aber weiter, ich weiche zurück und um eine Ecke. Nun bin ich mit ihm allein. Ich weigere mich, beim Kartenspiel mitzumachen, und das macht ihn wütend. Um ihn daran zu hindern, weiter mit den Spielkarten zu hantieren, packe ich seine beiden Handgelenke. Sie sind schmal, und er wirkt plötzlich sehr jugendlich, fast kindlich. Er hat nun ein eigentlich sympathisches Gesicht. Sein Brillengestell aus durchscheinendem, hellbraunem Horn ist in drei Teile zerfallen und liegt neben ihm auf dem Boden: der linke Bügel, die beiden Gläser und der rechte Bügel. Ich blicke in sein Gesicht. Er hat einen hellen Wuschelkopf und er erinnert mich an jemanden – leider kann ich nicht sagen, an wen. Jedenfalls an einen jungen, intelligenten und aufgeweckten Menschen, der Name „Thomas“ kommt mir in den Sinn.
Da er sich gegen meinen Griff wehrt, halte ich weiter seine Handgelenke fest umfasst. Nun hält er plötzlich ein 20 bis 30 cm langes Holzbrett in der linken Hand. Es ist faseriges Sperrholz, irgendwo herausgebrochen, so dass ein paar zentimetergroße Splitter davon abstehen, einer an der Spitze rot gefärbt. Er versucht nun, sich selbst im Gesicht mit diesem Brett zu verletzen. Ich halte seine Hände fest, er aber hebt den Kopf und drückt diesen gegen das Brett, so dass einer oder mehrere Splitter in sein linkes Auge dringen. Ich sehe die Wunde nicht, weil ich den Kopf nun von unten betrachte. Er triumphiert, ich konnte ihn nicht daran hindern, sich zu verletzen. Ich ziehe den dicken Splitter wieder heraus.
Ich wache auf, und im Aufwachen denke ich noch bei mir, ich hätte ihn ansprechen sollen, hätte mich dieser Situation stellen sollen – man liest ja öfter, dass dies bei Träumen oft zu einer Deeskalation oder Auflösung führt. Aber es ist zu spät, ich bin wach.
Teil 2: Jagd im Auto
Möglicherweise fand dieser Traum als erster statt, da bin ich mir nicht mehr ganz sicher. Ich bin jedenfalls wieder in Berlin im Tagungshotel und habe immer noch Zeit bis zum Beginn der Veranstaltung. Ich nutze die Zeit zu einer Spritztour in einem silbernen Sportwagen mit einem flachen Ein-Mann-Cockpit. Ich fahre auf einer sehr breiten, schnurgeraden Straße, links und rechts hohe Häuserreihen. Es ist dämmrig, etwas apokalyptisch. In großer Entfernung haben sich quer über die Straße Menschen aufgestellt, mutmaßlich Neonazis, vielleicht auch linke Chaoten – jedenfalls wollen sie mich als Vertreter der Staatsmacht konfrontieren, das ist mir klar. Ruhig und zügig fahre ich weiter auf sie zu. Sie haben brennende Stämme über die Straße gelegt, aus manchen ragen noch Astbüschel heraus. Nur eine Lücke gibt es noch, und kühl kalkulierend halte ich Gas gebend auf diese Lücke zu. In dem Moment, wo auch diese Lücke geschlossen werden soll, erreiche ich sie. Ich sehe noch groß neben mir die Beine des Chaoten stehen (ich selbst sitze im Auto sehr niedrig), der Wagen schiebt ihn beiseite, er ist wohl nicht ernsthaft verletzt. Ich bin durch.
Ich muss aber weiter sehr konzentriert und schnell fahren, da ich von einer Verfolgung durch diese Staatsgegner ausgehe. Bei dieser Flucht muss ich ein paar Stunts hinlegen, verfalle aber nicht in Panik. Einmal fahre ich rechts über den Straßenrand hinaus und falle eine Ebene tiefer auf eine andere Straße, das Auto macht das aber mit und es geht weiter. Ein paar Mal springe ich über weite Lücken im Boden, das Auto kracht auf der anderen Seite auf die Straße, ohne Schaden zu nehmen. So geht es noch eine Weile, dann löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Diese beiden zusammenhängenden Träume beschäftigen mich, weil ich in den vergangenen Wochen noch nie bei einem Traum so direkt angegangen wurde oder in Bedrängnis geraten bin.
Ein paar Assoziationen:
Wen oder was repräsentiert der junge Kartenspieler?
Warum will er sich selbst verletzen, warum will ich ihn daran hindern? Warum die Augen? Warum die Brille? Warum zerbricht eine Brille, und ausgerechnet in drei Teile? (Ich selbst trage eine Brille, jedoch anderer Bauart. In letzter Zeit hat meine Sehkraft spürbar nachgelassen und ich bräuchte mal eine neue).
Splitter im Auge eines anderen, aber man übersieht den Balken im eigenen?
Das Kartenspiel, der junge Mann: weist das auf jugendliches Spiel hin, das ich mir selbst verbiete?
Wen repräsentieren die Chaoten? Ist das der Anarchist in mir, oder stellen sie ein äußeres Hindernis auf meinem Weg dar? Weist das Auto auf die Reise durch mein Leben hin? Wer oder was bedroht diese Reise? Und wenn ich am Ende durch kühles Überlegen durchbreche, ist das dann gut oder schlecht? Immerhin endet die Verfolgung nicht, sondern sie geht weiter.
Wie gesagt, solange ich mich erinnern kann, hatte ich keinen bedrückenden oder bedrängenden Traum mehr, und jetzt gleich zwei in Kombination. Da muss es doch auch eine gemeinsame Botschaft geben. Nur: welche?